Neurootologie - nicht nur Gleichgewichtsstörungen

Die Neurootologie beschäftigt sich mit Sinnesstörungen des Gehörs, Gleichgewichts, Geruchs, Geschmacks, Sehens, Stimme und Sprache im Bereich der Kommunikation und bedeutet übersetzt "Lehre von den Ohrnerven und dem Gleichgewichtssystem". Manche Autoren sprechen von der "Otoneurologie" um die vorherrschende Stellung der Ohren zu betonen. So befaßt sich der Neurootologe hauptsächlich mit den Sinnesrezeptoren des Gleichgewichtssystems, deren Bahnen und den damit zusammenhängenden Krankheitssymptomen, so v.a. Schwindel (Vertigo), Ohrengeräuschen (Tinnitus), Taumeligkeit und Problemen mit der visuellen Erfassung. Moderne Untersuchungsmethoden der Neurootometrie ermöglichen eine objektive Darstellung dieser komplexen Systeme.

Fachübergreifend arbeiten im Bereich der Neurootologie Ärzte aus den Bereichen der Hals-, Nasen- Ohrenheilkunde, Augenheilkunde, Neurologie, Neurochirurgie, Neuro-/Orthopädie und den angrenzenden Gebieten Innere Medizin und Immunolgie zusammen.

Die Geschichte der Neurootologie geht von Charcot, Corti über Barany und Bekesy zu Henriksonn und Claussen.

Position der Neurootologie: In Deutschland stiefmütterlich behandetes Feld in der Wissenschaft gibt es keinen Facharzt und keine kassenärztlich anerkannte Zusatzbezeichnung für dieses Fach in Deutschland. Tätig in diesem Feld sind aus der Geschichte heraus v.a. Hals- Nasen- und Ohrenärzte, wie aber genauso auch Augenärzte (Ophthalmologen) und Neurologen. Wissenschaftlich tätige nennenswerte Gesellschaften in diesem Feld sind als älteste die Barany Society (gegründet 1960, 607 Mitglieder), die GNA (NES) (gegründet 1973, 738 Mitglieder), die American Neurotology Society (ANS) (gegründet 1974, 495 Mitglieder), NES of India (gegründet 1974, ~650 Mitglieder).

Gründe, bei denen eine neurootometrische Untersuchung sinnvoll weiterhelfen können sind vorrwiegend Schwindel, Schwindelzustände, Instabilitätsgefühl, Hörstörungen, Tinnitus, Geruch- und Geschmacksstörungen, Entwicklungsverögerungen im Bereich des Hörens sowie Gutachterliche Fragestellungen.

Im Rahmen der Neurootologie diagnostisch sinnvoll und weiterführend ist eine Untersuchung bei:

• Allen Formen von Gleichgewichtsfunktionsstörungen, auch bei posttraumatischen Zuständen, z.b. nach Autounfall mit Schädigung der cephalo-cervcalen Achse (sog. common Whiplash Injury, Peitschenhiebverletzung oder HWS Trauma).

• Kindliche Hörverarbeitungs- sowie Hörentwicklungsstörungen, sowohl peripherer als auch zentraler Genese.

• Sinnesstörungen nach chemischer Intoxikation durch diverse (Umwelt-)Giftstoffe, z.b. bei MCS (Multipler chemikalien Sensivität, Störungen der Blut-Hirn Schranke durch Sg 100 etc.)

• Tauglichkeitsprüfungen, v.a. G 41 der Berufsgenossenschaft für Absturzgefährdete Berufe. Weiter Leistungstest und HNO-bedingte Tauglichkeit für Piloten (Flugtauglichkeit), Taucher oder Rennfahrer.

• Therapieverlaufskontrolle

Kinderneurootologie

Multisensorische Integrationsstörungen der verscheidenen Sinneskanäle können ein Patternmismatch hervorrufen, besonders wenn es die Hauptsinne Hören, Sehen und Gleichgewicht fehlerhaft in der Verarbeitung sind. Dies kann anlagebedingt genetisch, prä- oder postnatal erworben sein. Für die erworbenen Fehlfunktion sind uns u.a. medikamentös/toxische Ursachen, entzündliche bzw. immunologische Prozeße, soziale- oder milieubedingte Einflüße, Fehlfunktionen des propriozeptiven Systems (z.B. im Bereich des "KISS-Syndrom") bekannt.

Aufgabe des kinderneurootologischen Arztes ist es, in diesem kybernetischen System durch objektive neurophysiologische Messverfahren, Fehlfunktionen, bzw. Defiziten der zentralen Nervenverarbeitung messend darzustellen. So bedeutet Schwerhören nicht leiser zu hören, sondern bedeutet anders hören. Ausgehend von den naturwissenschaftlichen Weber-Fechner Gesetzen, aber auch von dem Grundmodell, dass der Mensch erst zum Menschen wurde über die Innenohrorgane, ist die Evolution zum aufrechten Gang sowie Stimme-Sprache -Kommunikation gegeben. Warum der Hals- Nasen und Ohrenarzt und Neurootologe von der frühkindlichen Sinnesdiagnostik vielerorts ausgeschlossen ist, wird immer ein Rätsel bleiben.

Um hier zentrale Auditive Wahrnehmungsverarebtungsstörungen (AVWS) stabile Wahrnehmungsstörungen von instabilen zu unterscheiden, sind neben den altbekannten subjektiven Untersuchungsverfahren (z.B. Dichotischer Hörteste, Heidelberger Lautheitsdifferenzierung - H-LAD ) moderne elektrophysiologische Untersuchungen sinnvoll. So besonders wertvoll sind (Geräusch-) Ton- Ereigniskorrelierte Potentiale, sowohl mon- als auch binaural, P300, P400, Mismatch-Negativity (MMN) und CNV. Hier sollten nach unseren Erfahrungen spezielle EEG-Verfahren zur Anwendung kommen.

Der Gleichgewichtssinnprüfungen sollten besonders bei Kindern mittels der ultraschallsensorgesteuerten Cranio-Corpgraphie durchgeführt werden, da sich nur so eine valide Verlaufskontrolle gestalten läßt. Eine besonders hohe Aussagekraft hat die von uns entwickelte Kombination der Stehversuche mit geöffneten und geschlossen Augen auf einer elektronisch registrierenden Plattform mit gleichzeitiger ultraschallgesteuerter Registrierung der vestibulo-spinalen Reaktionen, sowohl intra- wie auch intersegmental.

Weitere, auch beim Kleinstkind mögliche Untersuchungsverfahren sind die elektronystagmographische Gleichgewichtsprüfung, wobei die Mutter das Kleinkind auf dem Schoss hält und der elektronisch programmierbare Drehstuhl festgelegte Beschleunigungsreize übermittelt und die Reizantwort an den Augen elektronystagmo-/polygraphisch registriert wird und nach einem standardisierten Schema ausgewertet werden.

Die Gleichgewichtfunktion läßt sich auch schon beim Neugeborenen über die vestibulär evozierten Potentiale darstellen, vergleichbar mit der Hörfunktion über die akustisch evozierten Potentiale und die Akustisch evozierten Emissionen

Je früher Hirnfunktionsstörungen objektiviert werden, je erfolgreicher ist die Therapie und die Verhinderung multisensorischer Integrationsstörungen im späteren Verlauf des Mneschen. Von besonderer Bedeutung ist dies im Rahmen der Frühförderung geistig behinderter Kinder mit ihren komplexen Teilleistungsstörungen. Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirn wird daran festgemacht, wie es Muster erkennt und an diesen lernt. Seneca formulierte : "Quid nihil in intellego est, quod non nihil ante in senso." Nach heutiger Formulierung hiesse das, dass ein Computer ohne Software nutzlos ist. Aber anders als beim Computer, wird über die Reizung der Sinne die Hirnreifung mit zur Analge Neuronaler Vernetzung angeregt. So ist bewiesen, dass wichtige Hirnregionen wie die Balkenregion und der frontalkortex nur unter auditiver Stimulation wachsen und die Signalübertragumgsgeschwindigkeit wächst.

Beim Erwachsenen schrumpft so (Kernspintomografisch nachgewiesen) besonders die Balkenregion altersbedingt und bewirkt so u.a. die "lange Leitung" des alternden Menschen.

Die therapeutische Folgerung aus diesem Wissen ist schon beim Säugling bei vorliegen einer Schwerhörigkeit operative Massnahmen zur Beseitigung einer Mittelohrschwerhörigkeit, z.B. durch Adenotomie oder Paukendrainage durchzuführen, bei Innenohrschwerhörigkeit die Hörgeräteversorgung, bei Taubheit die Cochlea Implantation einzusetzen. Mangelnde Diagnostik führt zu irreversiblen Hirnfunktionsschädigungen des Kindes und ist gleichzusetzen mit einer Körperverletzung des Kindes.

Warum die seit 15 Jahren bestehende Forderung der Hals-, Nasen- und Ohrenärzte neurootologische Untersuchungskriterien in die U-Untersuchungen des Kindes mitaufzunehmen -wie jetzt erst in Bayern umgesetzt- bisher nicht umgesetzt wurde, ist unseres Erachtens eine nicht zu verantwortende politsche Fehlentscheidung. Auch Ökonomisch im Hinblick auf Folgekosten ist dies nicht nachvollziehbar.

Die Hilfestellung zur Diagnostik von ADHS, SES, LB, Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS), Dys- Kalkulie Gramma, LRS Legasthenie ist nur ein Beispiel für die Notwendigkeit Kinderneurootologischer Untersuchung. Einige dieser Diagnosen sind als Teilleistungsstörung aufzufassen und dadurch seien keine Einschränkungen der intellektuellen Entwicklung zhu erwarten. Jedoch ergeben sich dadurch verschiedene Lernschwierigkeiten durch erschwerte Hörbedingungen (z.B. im Unterricht). Entscheiden ist letzlich die Zuführung einer geeigneten Therapie für leistungsgeminderte Kinder. Im Gegensatz zur klassischen Schulmedizin hat die Neurootlogie aufgrund Ihrer objektiven Netzwerkartigen Analysetechnik die Möglichkeit quasi einer Therapieüberwachung und Begleitung.

Keine der z.zt. vorgeschlagenen bekannten Therapien verfügt über evaluierte Studien im Sinne der Evidence Based Medicine (EBM). Das Kind befindet sich hoffnungslos im Zank zwischen Krankenkassen, Staat und Fachgremien in einem Bermudadreieck. So ist nur für wenige ein optimaler Ausgang beschrieben. Selbstinitiative seitens der Eltern ist im hohen Maase erforderlich.

Diskussionen ob der Ursachen, v.a. Fernsehen mit seiner überwiegend visuellen Reizüberflutung vs. "Fehlen von Omas Nachtgebet ersetzt durch das Sandmännchen aus der Filmkonserve" ist durch nichts bewiesen. Am wichtigsten über alles ist die die soziale Integration, für die die Kommunikation, und damit die v.a. Hörwahrnehmung der Schlüssel überhaupt ist. So wird man auch in Zukunft nicht um die individuelle interfamiliäre Förderung des Kindes umhinkommen. Mit Sicherheit ist der Kindergarten ab dem 3. Lebensjahr kein Ersatz für traditionelle Familienbindung und Förderung.


Zuletzt geändert: So, 7. Dez 2003